Freitag, 19. April 2013

KAPITEL 2


Erinnert Ihr Euch an diesen Entschluss, nicht mehr über den Sex mit Neil nachzudenken? Ja genau und nachdem ich entschieden hatte, dass er wohl nur vorgab sich nicht mehr an mich zu erinnern, flog dieser Entschluss aus dem Fenster.

Wir versammelten uns im Hauptbüro für die große Ankündigung. Elwood and Stern hatten Porteras von unserer Mutterfirma gekauft, aber das Format und das Styling sollte grob dasselbe bleiben. Neil sprach alles kurz an und ließ dann das neue Managementteam übernehmen. Während diese über die graduellen Änderungen bezüglich Firmenpolitik und Vorgänge sprachen, sah sich Neil im Raum um und schätzte offensichtlich seine neu erworbenen Mitarbeiter ab.

Alles woran ich denken konnte war Ich wette, jeder kann sehen das wir Sex hatten.
Natürlich konnten sie das nicht wissen, aber ich wusste es. Und das reichte schon aus. Ich schwebte durch den ganzen Morgen in einem Zustand von gesteigertem Bewusstsein und absoluter Paranoia.
Als mich Jake auf dem Weg durch den Rezeptionsbereich anhielt, um mich zu fragen, was ich über den neuen Boss dachte, schrie ich ihn praktisch an „Ich denke überhaupt nicht an ihn!“ bevor ich mich selbst stoppen konnte.
„Er ist nicht Gabriella.“ sagte ich, denn es war eine sichere Antwort und in jeder Hinsicht die Wahrheit..
Neil hatte sich mit jedem in einem natürlichen und nicht- bedrohlichem Ton unterhalten. Wäre Gabriella hier gewesen hätte sie ihn mit Laserstrahlen aus ihren Augen ausgeweidet.
„Wusstest du, das er das Versailles- Shooting abgesagt hat?“ Jake fluchte leise „Ich weiß das es scheisse ist sich über den Verlust eines von der Firma bezahlten Frankreich- Trips zu beschweren. Aber das sollte mein krönender Erfolg hier werden. Ich hätte vielleicht einen Buchvertrag kriegen können!“
Dieses Riesenshooting im Palast von Versailles hatte Jake seit mehr als einem Jahr geplant. Designer hatten spezielle Stücke dafür geschickt. Es war als Rahmenarbeit gedacht gewesen, um Jakes Abhandlung über den Einfluss der französischen Mode vor der Revolution auf das zeitgenössische Design zu präsentieren.
„Wie bitte?“ ich zog ihn am Arm zur Seite, damit wir den Büroverkehr, der zur Normalität zurückkehrte, nicht behinderten. „Er bläst es ab?“
„Nein, er bläst es nicht komplett ab.“ Jake lehnte sich mit der Schulter gegen die Wand. „Aber wir fliegen nicht nach Frankreich. Er möchte, das wir an einem Set arbeiten, mit den Models in barockem Rahmen. ,Der Geschmack des französischen Adels, ohne die Ausgaben des französischen Adels.‘ Und ich kann es ihm nicht einmal verübeln. Ich meine, wenn es dem Magazin so schlecht geht...“
„Wie schlecht?“ unterbrach ich ihn. Das war etwas, das ich sehr dringend wissen wollte. Wenn Porteras am Ende war, warum hatten wir keine Gerüchte darüber gehört? Die Leute machten ständig Stimmung gegen Porteras und für unseren Untergang, denn immerhin war das Magazin immer die erste Wahl gewesen.
Jake runzelte die Stirn „Hat er nicht gesagt. Ich denke, wir werden nie die ganze Geschichte erfahren.“
Nein, würden wir wahrscheinlich nicht. Was aber noch lange kein Grund für mich war, über Neil Elwood besser zu denken. „Das Shooting abzusagen ist Bullshit. Das Projekt war dein Baby und jetzt kommt dieser Kerl und sticht ihm in die Kehle?“ 
Jakes Stirnrunzeln verstärkte sich „Igitt!“
Okay, vielleicht hätte ich den Baby- erstechen Kommentar weglassen sollen. Aber ich konnte es nicht ertragen, wenn Jake innerhalb eines Tages zu einem Mitglied von Team Neil wurde. Ich hatte beobachtet wie wirklich jeder von der Angst den Job zu verlieren zur Verzücktheit über ihren neuen Chef gewechselt hatte. Das erschien mir unfair und ich nahm es absolut persönlich.
„Ich gehe!“ Cassidy, eine unserer Werbetexterinnen, drückte sich mit einem Karton auf dem Arm, der den gesamten Inhalt ihres Schreibtischs zu enthalten schien, an uns vorbei.
„Whoah, was ist los, Cass?“ Jake hielt sie fest und sie schwang zu uns herum. Ich konnte nur annehmen, dass sie so voll von Bosheit war, dass sie es rauslassen musste. Das wir diejenigen waren, die es abbekamen war einfach Pech.
„Ich arbeite nicht für den. Ich kam her um für Gabriella Winters zu arbeiten.“ sie hob ihr Kinn ein wenig an, als sie den geheiligten Namen sagte. „Worin besteht das Prestige, für eine Firma zu arbeiten, die 3 der größten Boulevardzeitungen und All Women Weekly publiziert? Das ist ein Magazin für fette Menschen!“ 
Cassidy konnte die Worte ,fette Menschen‘ in ein mehrsilbiges Wort verwandeln, indem sie die Konsonanten verlängerte. Sie sprach es ,fffffette Menschennnnn‘ aus, als ob allein deren Existenz schon einen chronischen Sprachfehler bei ihr auslöste.
Ich dachte an die vielen Kleider in Übergröße die im Schrank meiner Mutter hingen und mir wurde klar, das ich Cassidy nicht sehr vermissen würde.
Aber sie hatte ein gutes Argument, Porteras war nicht nur ein Modemagazin, sondern das Modemagazin schlechthin. Es war Mode und was auf seinen Seiten veröffentlicht wurde, bestimmte die Trends der gesamten westlichen Welt. 
Würde es weiterhin verehrt und respektiert werden, wenn es zu einer Verlagsgruppe gehörte, deren andere Magazine Paparazzi dafür bezahlte, Bilder von schwangeren Stars im Bikini zu liefern?
Ich kehrte zu meinem Schreibtisch zurück und sah mir mein Tagesprogramm an. Eine Menge der Punkte konnte gestrichen werden, dank der Tatsache das meine Chefin nicht mehr meine Chefin war. Ich würde Gabriellas Hund, Kaiserin Catherine, nicht zu ihrer Pediküre bringen. An dem Lunchmeeting mit den Calvin Klein Werbeleuten würde ich auch nicht teilnehmen, was eine Schande war. 
Ich stützte meine Ellbogen auf dem Schreibtisch ab und dachte über Penelopes unbesetzten Schreibtisch nach. Wo zur Hölle war sie?
Ich bekam eine SMS auf mein iPhone. Die Nummer kannte ich nicht, aber als ich sie las, wusste ich von wem sie kam. „Könnten sie bitte in mein Büro kommen?“
Ich stand auf und nahm einen tiefen Atemzug. Das Neil hinter der geschossenen Bürotür war, war mir nicht mal klar gewesen. Wahrscheinlich immer noch mit seiner Testosteronbrigade.
Ich klopfte an und Neil rief. „Kommen sie bitte rein, Sophie.“
Als ich eintrat war ich zuerst erleichtert, dass seine Helferlein nicht mehr da waren. Das schlug aber schnell in Panik um, als mir klar wurde, das ich mit ihm alleine war.
So nervenaufreibend es auch war in Anwesenheit anderer mit ihm zu sprechen, mit ihm alleine zu reden war schlimmer.
Er schien sich nicht unwohl zu fühlen. Seine Jacke hatte er ausgezogen, die Hemdsärmel aufgeknöpft und hochgefaltet und er lächelte mich mit echter Wärme an, als ich so vor ihm stand.
Natürlich fühlte er sich nicht unwohl, da er sich ja nicht an den Sex mit mir erinnerte. Oder vielleicht erinnerte er sich doch. Das er meinen Namen kannte, schien mir ein Beweis dafür zu sein und doch war es kein echter Beweis.
Er konnte ja einfach jemanden gefragt haben, während ich die Bagels besorgt hatte.
„Bitte nehmen sie Platz. Es gibt einiges das wir besprechen müssen.“ er wies auf den filligranen weißen Stuhl vor dem Schreibtisch.
Ich hielt meinen Atem an. Er erinnerte sich doch an mich und hatte nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet, um es zu erwähnen. Und nun würde er mich feuern!
„Aber zuerst Mittagessen.“ Er lehnte sich in Gabriellas Stuhl zurück. Ich hatte nie bemerkt, das man diesen Stuhl auch kippen konnte, da sie immer so extrem aufrecht gesessen hatte. „Kein rotes Fleisch, kein Glutamat.“
Fast hätte ich vor Erleichterung geseufzt. Noch nicht gefeuert und als einen kleinen Bonus hatte er mir eine mehr oder weniger spezifische Anweisung gegeben. 
Ich griff nach einem Notizblock neben der Kladde und gestikulierte zu einem Stift daneben: „Darf ich?“
„Aber sicher.“ Er beobachtete mich, als ich mir ,kein rotes Fleisch, kein Glutamat‘ notierte und fuhr dann fort: „Normalerweise frühstücke ich zuhause, also brauchen sie sich darum nicht zu kümmern. Mittagessen werde ich heute hier essen und das hier -“ er schob mir einen grossen Briefumschlag zu „ - müsste zu einem Mitarbeiter im Rathaus gebracht werden, bevor die schließen.“
Ich nahm den Umschlag und notierte mir ,Büroangestellter‘ auf den Notizblock. Der Stift schwebte über dem Papier, während ich auf weitere Anweisungen wartete.
„Das ist auch schon alles.“ sagte er und ich sah auf, bemerkte den amüsierten Ausdruck in  seinem Gesicht. „Sophie, ich bin kein anspruchsvoller Chef. Gelegentlich werde ich sie brauchen, um mir Kaffee zu bringen oder etwas zu verschicken, eben alle normalen Assistentenaufgaben. Aber ich werde sie nicht dazu zwingen meinen Hund quer durch die Stadt zu fahren.“
„Haben sie...“ Ich räusperte mich. Irgendjemand hatte ihm von Kaiserin Catherine regelmäßigen Besuchen beim ganzheitlichen Tierarzt erzählt. „Haben sie keinen Hund?“
Seine Lippen zuckten. An dieses Halblächeln erinnerte ich mich so gut. Genau wie vor sechs Jahren war ich mir nicht sicher, ob er lächelte  weil er mich lächerlich fand oder weil er mich mochte. 
Genauso hatte er damals gelächelt, als ich endlich den Mut aufbrachte die Sitzbereich beim Gate zu durchqueren. Nach meinem ersten Flug an diesem Tag, fühlte ich mich eklig und unattraktiv in einem Paar ausgebleichter Jeans und einem schwarzen T- Shirt. Mein Haar war ungekämmt und nur zu einem schlampigen Zopf zusammengebunden. Ich wollte so unbedingt erwachsen und weltüberdrüssig klingen. 
Zum Gate weisend fragte ich ihn: „Erster Flug nach Tokio?“
Und er lächelte dieses geheimnisvolle Halblächeln und antwortete: „Nein, aber ich wette, es ist ihrer.“
Der Mann der jetzt vor mir saß war sechs Jahre älter, hatte im Gesicht einige Linien mehr und etwas mehr grau im Haar. Aber er machte meine verräterischen Knie noch immer weich. Ich schwankte zwischen Hass auf ihn und dem Verlangen, in seinen Schoß zu springen. Nicht mein professionellster Moment.
„Nein“ antwortete er, das Lächeln immer noch auf den Lippen. „Ich habe keinen Hund. Haben sie noch weitere Fragen?“
Spielte er mit mir? Ich wusste es nicht. Aber so wie ich es im Moment sah, hatte ich nichts zu verlieren.
Ich stellte mir vor, wie ich ihn fragen würde: „Ja, habe ich, Haben sie vor sechs Jahren am Flughafen in LA eine junge Frau aufgegabelt, ihr das Gehirn rausgevögelt und dann ihr Ticket gestohlen?“ Aber mein Mund schien glücklicherweise mit den Teil meines Gehirns der „Nein! Nein!“ schrie, übereinzustimmen. 
Stattdessen fragte ich: „Wissen sie vielleicht, wann Penelope wieder da ist?“
„Penelope?“ er runzelte die Stirn für einen Moment. „Ach ja, die andere Assistentin. Ehm, ich glaube Ms Winters beschäftigt sie weiterhin. Zumindest wurde mir das so vom Personalbüro mitgeteilt. Jemand aus meinem eigenen Team wird für sie übernehmen.“
Ich fragte mich, ob er hören konnte wie sich der Ärger in mir aufbaute, wie Dampf in einem Teekessel.
Meine lebhafte Vorstellungskraft zeigte mir eine Karikatur meines Kopfes, der wie der einer Comicfigur anschwoll. „Gabriella...“ Meine Kehle verschloss sich. Ich musste anhalten, um sie freizubekommen.
Neil beendete meinen Satz: „... hat sie mitgenommen.“ Er war kurz still, sein verwirrter Gesichtsausdruck wechselte zu einem besorgtem Ausdruck. „Sie hat es ihnen nicht angeboten?“
„Nein.“ ich zog an meiner Kaffee- befleckten Jacke. „Sie hat mir nicht dasselbe angeboten.  Wäre das alles?“
Er schien verwirrt, dass ich plötzlich kurz angebunden war, als hätte er nie zuvor menschliche Gefühle gesehen. Schnell sagte er: „Ja, ich denke schon. Vielen Dank, Sarah.“
Sarah? Das war es. Die Kirsche auf meinen Eisbecher eines beschissenen Tages. Meine Karriere, mein ganzes verdammtes erwachsenes Leben. Die Frau, die ich für meine Mentorin gehalten hatte, dachte offensichtlich, ich wäre so etwas wie Büromöbel. Der Mann, mit dem ich alle potenziellen Liebhaber in den vergangenen sechs Jahren verglichen hatte, erinnerte sich nicht an mich. 
Und daran gemessen, dass er sich nicht einmal an meinen Namen erinnerte, schien mein Job noch mehr vorübergehend zu sein, als ich gedacht hatte.
„Sind sie in Ordnung?“ fragte Neil besorgt. 
 Ich war absolut nicht in Ordnung. Ich würde die eine Sache tun, die hier bei Porteras die meist gefürchtete, Karriere- killende Sache war. Sehen sie, ich habe die blöde Angewohnheit loszuheulen, wenn ich wütend bin. Und im Moment war ich absolut rasend.
Als ich damals für Gabriella zu arbeiten begann, war ich zweite Assistentin.
Das Mädchen, das erste Assistentin war, wurde am Altar verlassen. Sie hatte wieder zu arbeiten begonnen, als gerade das Shooting für das Juni Brautmoden Feature begann. 
Etwas zu offensichtlich hatte sie sich ihre Augen abgetupft und innerhalb einer Woche hatte jeder von ,Miss Havisham‘ gesprochen, der sitzengelassenen Jungfer, die einen seelischen Zusammenbruch bei der Arbeit gehabt hatte. 
Ich würde nicht weinen, besonders nicht vor Neil.
Also stand ich auf und er erhob sich auch. Ich trat zurück, mit der Hand an meiner Kehle, in verzweifelter Angst, dass er mich berühren, mich trösten würde.
Auf keinen Fall würde ich das ertragen. „Ich bin in Ordnung. Ich habe mich... nur an meiner Spucke verschluckt.“
Geschmeidig.
Ich drehte mich um und eilte zur Tür. Wie konnte Gabriella es wagen, Penelope mir vorzuziehen? Sie hätte mir einen Job anbieten können. War ich keine gute Assistentin gewesen? Wenigstens warnen hätte sie mich können, bevor ich vom neuen Regime überfallen wurde.
„Ich weiß, sie müssen sehr aufgebracht sein. Möchten sie vielleicht den Rest des Tages -“
Ich wandte mich ihm zu „Ja, sie haben recht. Ich bin aufgebracht.“ Ich wog die Pros und Kontras meiner nächsten Worte ab und die Entscheidung fiel auf Scheiß drauf! 
„Crown Plaza. Der Flughafen in Los Angeles. Darum bin ich aufgebracht.“
Alle Farbe verschwand aus seinem Gesicht. Eine Sekunde lang genoss ich sein plötzliches und offensichtliches Unbehagen mit geradezu sadistischer Freude. Falls er sich vorher nicht an mich erinnert hatte, dann jetzt ganz sicher.
Und dann wurde mir klar, dass sich nichts geändert hatte. Ich hatte gerade meinen Job in die Wind geschossen, aber Gabriella würde nicht vor meiner Wohnungstür sitzen und mich anbetteln für sie zu arbeiten. Das Leben würde nicht auf magische Weise so werden, wie es gestern war und ich hatte immer noch einen Latte- Fleck auf meiner fünfhundert- Dollar- Jacke.
Noch nie zuvor hatte ich mir so sehr gewünscht, dass sich der Boden öffnen und mich verschlucken würde. Neil versuchte ein entschuldigendes Lächeln und als er es nicht aufrecht erhalten konnte, sah er weg. Hin zu den Fenstern die ich die letzten beiden Jahre persönlich von Flecken gereinigt hatte. „Ja, also was ich sagen wollte, vielleicht möchten sie den Rest des Tages freinehmen. Und wir unterhalten uns morgen.“
Ich ging und schloss die Tür hinter mir. Ich zögerte an meinem Schreibtisch und überlegte, ob ich nicht sofort alle meine Sachen mitnehmen sollte und mir selbst einen Weg sparen sollte. 
Aber das würde bedeuten, dass ich einen Moment länger bleiben müsste und das konnte ich beim besten Willen nicht. Ich nahm meinen Mantel und meine Handtasche und ging ohne ein weiteres Wort.

In Zeiten großer Krisen kann ich mich immer darauf verlassen, dass meine beste Freundin den Silberstreifen am Horizont sieht, das aktuelle Problem mit mir durchspricht und ein bisschen Perspektive in das Chaos bringt, aus dem meine Welt besteht.
Und alles das zusätzlich zum heranschaffen des notwendigen Grases und Alkohols.
„Egal ob er dich nun sofort erkannt hat, als er dich gesehen hat, oder nicht... zumindest erinnert er sich an dich.“ quietschte Holli als sie eine eindrucksvolle Wolke blauen Dunstes ausatmete. „Und du hast ihn nicht auf Bildern von ihm in Magazinen erkannt. Ausserdem ist ja nicht so, als ob ihr eine lange Beziehung gehabt hättet und er dich vergessen hatte. Ihr hattet einen One Night Stand.“
„Ich weiß.“ Ich nickte erbärmlich als ich meinen nächsten Zug nahm. „Aber wer hat Analsex mit jemandem und vergisst das alles dann einfach?“
Holli nickte enthusiastisch und nahm einen Schluck von ihrem Wein. „Meine Freundin Alexis! Vor zwei Tagen erzählt sie mir, wie sie über der Küchenspüle hing, mit einem Vibrator in der Pussy, während ihr Freund sie von hinten vögelte. Und heute erwähnte ich es und sie sagte, sie wüsste nicht, wovon ich rede.“ 
Sie nahm vorsichtig den Joint aus meiner Hand und führte ihn an ihre Lippen. „Aber sie hat auch das ,verrückte Schwangerschaftshirn‘ im Moment.“
Ich zuckte mich den Schultern. 
Sobald ich zuhause angekommen war, hatte ich meine teure Arbeitskleidung ausgezogen und mein Makeup abgewaschen. Eigentlich hätte ich mich in meinem bequemen Schildkröten- Flanellschlafanzug sofort entspannter fühlen müssen, aber ich wusste noch nicht was morgen im Büro passieren würde.
Ich war mir sicher, daß es nicht genug Cannabis auf dem Planeten gab um meine Besorgnis zu überwinden.
Holli lehnte sich nach vorne und ihre großen braunen Augen wurden noch größer, als ob sie ein fantastisches Geheimnis hätte. „Was wäre wenn, ich uns chinesisches Essen besorgen würde? Und Pizza?“ Sie hob eine triumphierende Faust. „Und eine Schachtel Cornflakes!“
Also, das ist die Sache mit Holli: sie ist wegen einer Stoffwechselstörung sehr dünn. Was bedeutet, sie muss wie ein Elefant essen, um wie eine Giraffe auszusehen. Das klingt beneidenswert und während dem ersten Jahr unserer Freundschaft hatte ich sie beneidet. Aber dann fiel mir langsam auf, wie oft Fremde ihr sagten sie solle ein Sandwich essen oder annahmen, dass sie magersüchtig sei, nur weil sie so dünn war und als Model arbeitete. Ich unterließ es, solche Sachen zu sagen wie: „Das Mädel sollte etwas essen!“, wenn ich dünne Stars in Magazinen sah. Denn ich hatte gesehen, wie viel Holli aß und es war auf komische Weise verstörend.
„Ich fühle noch nicht wirklich die Mitternachts -“ ich langte hinter die Couch, um die Vorhänge aufzuschieben. „Oh Gott. Es ist ja schon fast Sonnenuntergang. Und ich muss morgen zur Arbeit, auch wenn es nur zum Gefeuert- werden ist. Ich denke, ich nehme ein heisses Bad und gehe früh zu Bett.“
Holli nahm einen weiteren tiefen Zug von dem winzigen Stummel der noch übrig war, dann drückte sie ihn vorsichtig am Rand des Aschenbechers aus, bevor sie mit ihrer Fingerspitze meine Name antippte. „Du sagst es, Kleine.“
Ich schälte mich aus der Couch und spürte, wie ein wenig meiner depressiven Stimmung verschwand.
Es hatte nach Spaß geklungen, den ganzen Nachmittag in meinem Pyjama rumzulümmeln, aber jetzt fühlte ich mich nur noch gelangweilt, müde und unproduktiv. 
Vielleicht sollte ich, während Holli sich durch Chinatown aß, an meinem Lebenslauf arbeiten. 
Oder, ich könnte auch ein Bad nehmen und mehr Wein trinken.
Sehen sie, ich will nicht wie ein wandelndes Klischee klingen, aber manchmal sind ein Bad und Wein absolut notwendig.
Das Appartment das ich mir mit Holli teile, ist fantastisch. Ein Zwei- Schlafzimmer Appartment in einem Gebäude ohne Aufzug, eines der Hauptverkaufsargumente war das große Wohnzimmerfenster und der Zugang zum Garten auf der Dachterasse. 
Die Wände der Küche und des Wohnzimmers sind Buttergelb, die Böden aus glänzendem dunklen Holz. Die Größe der Schlafzimmer entspricht Schuhschachteln, aber es ist trotzdem ein fantastischer Ort, besonders verglichen mit unserem Zimmer im Wohnheim der NYU. 
Aber die Badewanne ist der Grund, das ich hier niemals ausziehen werde. Sollte ich jemals ausziehen, werde ich versuchen sie in meinen Koffer zu stopfen und mitzunehmen.
Es ist eine antike, mit hohem Rückenteil ausgestattete, klauenfüßige Wanne mit weißem Porzellanlack auf der Innenseite und poliertem Kupfer auf der Aussenseite. Drumherum hängt ein Vorhang und es gibt eine Handbrause, so das man auch einfach hineinspringen und sich duschen kann. 
Aber heute plante ich etwas Zeit zur Tiefenentspannung darin zu verbringen.
Ich stellte das Wasser an, auf eine Temperatur knapp unter siedend heiß.
Was soll ich sagen? Ich mag es ge- hummer- t zu werden. Vom Badezusatz fügte ich viel zuviel hinzu und dann noch etwas Badeöl, bevor ich zum Kühlschrank ging und eine Flasche gekühlten Weißweins herausnahm.
Holli zog gerade ihren Mantel an. „Bis später!“
„Hey, geh nicht in diesen Imbiss, wo dir letztes Mal schlecht wurde.“ wies ich sie an und verschloss die Tür hinter ihr. 
Dann verzogen mein Wein und ich uns ins Badezimmer. Um alle Stereotypen zu erfüllen aus denen mein Bewältigungsmechanismus bestand, zündete ich die Sandelholzkerzen auf dem kleinen Tisch neben der Wanne an und spielte Musik auf meinem Handy ab.
Während Lana Del Ray darüber trällerte, dass es langweilig wurde den Blues zu singen, sank ich in das wundervoll heiße Wasser und legte meinen Kopf gegen das kühle Porzellan.
Ich bewegte meinen Fuß träge durch das Wasser und fühlte den fürchterlichen Morgen im Büro dahinschmelzen. Was machte es schon, wenn ich meine Arbeitsstelle verlieren würde? Ich hatte genügend gespart, dass ich eine Weile meine Hälfte der Miete und Rechnungen zahlen konnte. Und falls das nicht ausreichte, hatte ich noch jede Menge Designerklamotten und Handtaschen, die sich durch den Job angesammelt hatten. 
Ich könnte mich locker eine Weile mit Kommissionsverkäufen über Wasser halten, falls notwendig. Teure Klamotten waren toll, aber eben nicht lebenswichtig. Ich würde alles verkaufen, wenn ich müsste.
Vielleicht wird Neil dich nicht feuern, erinnerte ich mich selber. Ja, du hast ihm einen Schock verpasst, aber er scheint ein anständiger Kerl zu sein.
Nein, anständige Kerle vögeln einen nicht besinnungslos und klauen dann dein Flugticket.
Natürlich könnte ihn diese Schuld motivieren mich in der Firma zu behalten. Oder eine kleine Drohung zur rechten Zeit...
Das verwarf ich fast so schnell, wie es mir in den Sinn gekommen war. Auf keinen Fall würde ich jemanden erpressen. Das widersprach meinem Charakter. Ausserdem hatte ich keine Ahnung, wie viele Leben durch so etwas betroffen wurden. Er könnte in einer Beziehung sein. Er könnte Familie haben. Was er mir vor sechs Jahren angetan hatte war extrem blödsinnig gewesen, aber er hatte mir immerhin genug Geld hinterlassen, daß es für ein neues Ticket nach Japan gereicht hätte. 
Es war unglaublich anmaßend und rüde und kontrollierend gewesen, mein Leben auf diese Weise zu verändern, obwohl er weder mich noch meinen Grund fürs Weglaufen kannte. Aber das war es nicht wert, meine Prinzipien über Bord zu werfen und dabei vielleicht sogar Leben zu zerstören, nur um meinen Job zu behalten.
Es war kleinlich von mir, in Anbetracht meiner sehr ernsten Situation, aber ich kam wirklich nicht darüber hinweg, dass er sich nicht an mich erinnert hatte.
Ich hatte sechs lange Jahre versucht jemanden zu finden, der mich halb so sehr erregte wie er. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, ich hätte mir nicht vorgestellt, dass es ihm genauso ging - nie in der Lage mich zu vergessen.
Das schlimmste war, das er mich noch immer berührte. Wenn ich nur an ihn dachte, prickelte meine ganze Haut. Das war schon immer so gewesen und würde wahrscheinlich auch so sein, wenn er mich gefeuert hatte.
Es war so unglaublich unfair.
Ich wollte nicht Neil. Ich wollte Leif, den charmanten britischen Fremden vom Flughafen. Ich wollte ihn immer noch und das würde sich vielleicht nie ändern.
Mein Körper pochte, wie er es immer tat, wenn ich mich an diese Nacht erinnerte. Ich presste meine Schenkel für eine Sekunde zusammen, bevor ich eine Hand dazwischen gleiten ließ.
„Was willst du?“ fragte er in meiner Erinnerung, seine Lippen strichen über mein Ohr als er mich gegen die Wand des Hotelzimmers drückte. Im Nachhinein fand ich meine Antwort immer fürchterlich peinlich. Davor hatte ich nur mit zwei Menschen geschlafen und es war wirklich nichts erwähnenswertes gewesen. Ich versuchte an das Verdorbenste zu denken, das ich mir vorstellen konnte und hatte schüchtern gestammelt: „Äh... du könntest mir... den Hintern versohlen? Vielleicht?“
Zum Davonlaufen, ich weiß, aber ich konnte die Vergangenheit nicht ändern.
Im heißen Wasser glitten meine Hände über meinen Körper, ich seufzte und schloss meine Augen.
Er hatte gelächelt und ich wusste bis heute nicht, ob er sich über mich lustig gemacht hatte oder nicht. Selbst jetzt in meiner Fantasie wusste ich das nicht.
„Wenn es das ist, was du willst.“ 
Ich konnte noch immer sein Eau de Cologne riechen, konnte noch immer sehen wie er die Ärmel seines blau- grauen Hemdes aufknöpfte. Darunter trug er ein verwaschenes David Bowie Tourshirt. Es war als ob er direkt der Fantasie meins 18jährigen ichs entsprungen wäre, der heisse Geschichtslehrer der mir einfach nicht widerstehen konnte.
Dieser Gedanke ließ mich meine Augen öffnen. Hatte ich solche Daddy- Probleme gehabt?
Ist das jetzt noch wichtig? fragte ich mich selbst, meine Finger nahmen ihren Weg unterhalb der Wasseroberfläche wieder auf. Ich nahm einen zitternden Atemzug. Fast konnte ich die frische, weiße Bettdecken unter meiner Wange fühlen, als ich mir vorstellte, wie ich damals über seinem Schoß gelegen hatte, mit nichts bekleidet als meinem weißen Baumwolltanga. Damals hatte ich mir gewünscht, es wäre schwarze Spitze gewesen, aber nur weil ich da noch nicht wusste, dass weiße Baumwolle für Männer eine fast schmerzhafte Erotik besaß.
„Hast du das schon einmal gemacht?“ hatte er sanft gefragt, als seine Handfläche in langsamen Kreisen über meinen Hintern fuhr.
Ich hatte den Kopf geschüttelt, mich für meinen peinlichen Vorschlag geschämt und dafür, wie nass ich schon war. Wie unglaublich er mich schon auf der Taxifahrt ins Hotel erregt hatte und im Aufzug und...
Ich veränderte die Stellung meiner Beine und rutschte tiefer ins Wasser. Wir hatten damals über die Regeln gesprochen, aber ich brauchte keine Regeln in meiner Wanne.
Mein Blut pochte, wenn ich an den ersten harten Schlag dachte, der schockierende Klang der von den Wänden widerhallte, der stechende Schmerz der erst nach einem Moment einsetzte. Er besänftigte den Schmerz fast völlig mit derselben Hand, die den Schlag vollführt hatte, dann traf der nächste Schlag meinen Hintern und der nächste. Bei jedem Schlag dachte ich, dass ich den nächsten nicht mehr aushalten würde. Würde er mich für albern oder dumm halten, wenn ich dieses kleine Spiel stoppte?
Seine langen Finger glitten unter meinen Tanga, zogen ihn kurz etwas enger gegen meine vor Lust schmerzende Pussy, bevor er ihn bis zu meinen Knien runterzog. Dann ein weiterer Schlag auf meinen Hintern und plötzlich waren zwei seiner Finger in mir, grob stieß er sie in mich und zog sie wieder heraus.
Ich war so bereit gewesen, nasser als jemals zuvor, in meinem Kopf ein ständiger Refrain dass er mich doch endlich ficken sollte.
Vielleicht hätte ich aufgegeben, wenn ich gewusst hätte, wie lange er mich darauf warten lassen würde. Aber ich hatte jeden schockierenden Kontakt zwischen seiner Hand und meinem Hintern hingenommen, bis meine Haut in Flammen zu stehen schien. Ich war sicher gewesen, dass ich auf dem langen Flug am nächsten Morgen nicht sitzen können würde.
Die starke, heiße Spirale die ich nun so gut kannte, baute sich in meinem Becken auf und ich bewegte meine Hand schneller, während ich mich daran erinnerte wie ruhig und gleichmäßig seine Atem verglichen mit meinem verzweifelten Keuchen geklungen hatte. Er hatte meine eigenen Säfte in den Falten zwischen meinen Beinen verteilt, nach oben gestrichen und die jungfräuliche Stelle zwischen meinen Hinterbacken mit seinen Fingern umkreist. Ich hatte mich auf meine Ellbogen gestützt, wollte mehr aus Anstand als aus Ekel protestieren, als ein weiteren brennender Schlag auf meiner Rückseite landete. In Folge dazu glitt sein kleiner Finger in meinen Arsch und ich dachte nicht mehr ans protestieren.
Als ich jetzt dem Höhepunkt entgegen flog, schrie ich „Oh bitte!“ wie ich es damals getan hatte. 
Er hatte mich damals zum Orgasmus gebracht, einen Finger in meinem Arsch, zwei in meiner Muschi und sein Daumen war an meiner Klitoris zugange, bis ich schließlich explodierte. So wie ich jetzt in meiner Wanne explodierte, meine Beine zitterten und zuckten und Badewasser schwappte auf den Boden. 
„Scheiße!“ Mein anderer Arm lag über meinem Kopf am Wannenrand entlang, ich legte ihn für einen Moment über meine Augen und versuchte zu Atem zu kommen. Diese Nacht war unglaublich gewesen, aber nun musste ich den Holzboden retten und ich hatte es mir gerade zu einer Fantasie über meinen neuen Chef selbst gemacht.
Für ein paar Sekunden hatte ich mich besser gefühlt, aber nun fühlte ich mich wesentlich schlechter.
Und ich musste mich ihm morgen wieder stellen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen